Kapitel 23: Christian schreibt eine Bewertung zum Herrenduft Lanvin L‘Homme. (April 2016 / April 2006)

User: Christian_451
Lanvin L‘Homme
Eau de Toilette | Herren
Duft: 10 von 10 Punkten
Haltbarkeit: 7 von 10 Punkten
Sillage: 6 von 10 Punkten

Ich lese sehr gerne und oft auf dieser Website. Ich mag es sehr, wie hier – häufig durchaus sehr erfolgreich – versucht wird, die Eigenheiten und Ausprägungen von Düften in Worte zu kleiden. Doch ich muss zugeben, dass ich wenig von Parfums verstehe. Die Duftnoten wollen sich mir allzu oft nicht erschließen, und auch wenn hier zum Beispiel immer wieder die Rede ist von Vetiver, weiß ich noch immer nicht, wie Vetiver eigentlich duftet. Mit dem Begriff Fougère kann ich ebenfalls sehr wenig anfangen, und die vereinzelten Parfums, die ich besitze, könnte ich wohl kaum in einer adäquaten Form charakterisieren. Trotzdem schreibe ich diesen Eintrag.

Lanvin L‘Homme ist kein auffälliger Duft. Er ist ziemlich unspektakulär. So unspektakulär, dass ich mich nicht erinnern kann, wo, wann und warum ich ihn gekauft habe. Wahrscheinlich habe ich ihn in der Parfümerie aufgesprüht, wahrscheinlich mochte ich ihn, und wahrscheinlich war er gerade im Angebot. Doch zweifellos würde ich an dieser Stelle nicht über dieses Eau de Toilette schreiben,    wenn Nita nicht gewesen wäre. Sie hat stets gesagt, dass der Duft zu mir passt. Und ich bin noch heute nicht ganz sicher, ob sie es als Kompliment gemeint hat.

Als Nita und ich uns kennen lernten, war ich 27 Jahre alt, sie war drei Jahre jünger. Das war vor zehn Jahren. Heute bin ich geschieden, aber nicht von Nita. Meine Ehe war ein ziemliches Fiasko. Bisweilen vergesse ich, warum ich mich in meine Ex-Frau verliebt habe. Vielleicht habe ich mich gar nicht verliebt, vielleicht war sie einfach da, in einem Moment, in dem mir dieses Da-Sein reichte. Keine Ahnung. Jedenfalls bin ich froh, dass ich nicht mehr mit ihr verheiratet bin, dass sie kein Teil meines Lebens mehr ist. Bei Nita bin ich nicht froh, dass sie kein Teil meines Lebens mehr ist. Im Gegenteil. Gerade jetzt, beim Schreiben dieses Textes, vermisse ich sie. Ich denke daran, wie sie ihr Gesicht an meinen Hals legte und tief einatmete. «Ich liebe, wie du duftest», flüsterte sie. Das Eau de Toilette, das ich damals trug, war Lanvin L‘Homme.

Der Duft lasse in ihr das Gefühl entstehen, sicher zu sein, sagte Nita einst. Sie müsse keine Angst haben, dass sich etwas verändere. Sie fühle sich so behütet, so gut aufgehoben, gerade so, als würde ihr Herz in einem warmen Bett liegen. Manchmal drückte sie in solchen Momenten ihren Körper an meinen, und ich kam mir vor, als würde sich die restliche Welt auflösen, damit sich alle Kraft des Universums ganz auf uns zu konzentrieren vermochte.

Nita konnte Lanvin L‘Homme ganz einfach beschreiben. Es sei wie ich. Verlässlich, natürlich, echt. Sie legte ihre Nase an meinen Hals und sagte, mit diesem Duft könnte sie alt werden. Mit dieser Vorstellung konnte ich gut leben. Mit dieser Vorstellung wollte ich leben. Doch Nita hatte offenbar nur über den Duft gesprochen, nicht über mich. Denn eines Tages, wir waren etwa seit fünf Monaten ein Paar, teilte sie mir mit, dass sie keine Zukunft für uns sehe. Sie versuchte, ihren Entschluss ausführlich zu begründen, verfiel aber bald in ein ungewohntes Schweigen und kaute auf ihrer Unterlippe. Irgendwann sagte sie, dass sich die Dinge, die sie an mir schätzte, sich irgendwie ins Gegenteil verkehrt hätten. Dass dieses Normale und Verlässliche, dieses Vernünftige und Liebenswerte nicht ihren Sehnsüchten entsprach. Ich sei ein wunderbarer Mann, vielleicht der perfekte Mann für eine Frau, aber diese Frau sei nicht sie. Ich brachte kaum ein Wort heraus, stammelte höchstens einige Fragen in den Raum, auf die sie keine Antwort wusste. Dann war sie weg, war verschwunden. Und ist es noch immer.

Dass man eine Frau wie Nita vielleicht nur einmal im Leben trifft, war mir damals nicht klar. Allmählich wird es mir bewusst. Und vielleicht hat deshalb der eigentlich so unspektakuläre Duft von Lanvin eine solch große Bedeutung, dass ich über ihn meine erste – und wahrscheinlich auch letzte – Bewertung verfasse. Und ja, eigentlich sollte es ja um Lanvin L‘Homme gehen. Manche nennen es ein weiteres Meisterstück von Parfümeur Alberto Morillas, der es geschafft hat, aquatische Noten mit ausgeprägter Natürlichkeit zu verbinden. Andere finden den Duft zu öde und unauffällig, um überhaupt Worte darüber zu verlieren. Manche bezeichnen ihn als Gentleman, andere schimpfen ihn Langweiler. Ich mag ihn als Duft, mag ihn sehr. Und ich liebe ihn als olfaktorische Zeitmaschine, die mich zurück zu Nita bringt. Nur tragen, tragen kann ich ihn nicht mehr.

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