Kapitel 20: Nita hat Nasenbluten und rechnet mit dem Schlimmsten. (September 2013)

Manchmal denkt Nita, dass die Kraft, mit welcher sie den Rand des Waschbeckens umklammert, der Gradmesser dafür ist, wie ungut sie sich fühlt. An guten Tagen, und davon gibt es durchaus einige, liegen ihre Hände ganz locker auf der Kante, die Finger hängen entspannt ins Waschbecken hinab, die Fingerkuppen berühren sanft das kühle Porzellan, und draußen vor dem Fenster fliegt ein Rotkehlchen vorüber, blickt hinein und freut sich, dass dort im Badezimmer eine Frau steht, der es gut geht.

An anderen Tagen krümmen sich ihre Finger über die Kante des Waschbeckens, die Knöchel färben sich allmählich weiß, dazu ist ihr Körper unnatürlich geneigt. Hin und wieder wirft sie einen Blick in den Spiegel und zuckt dann zusammen. Auch das Rotkehlchen vor dem Fenster erschrickt und zwitschert nervös.

Dann sind da die Tage, an denen sich ihre Finger beinahe ins Porzellan graben. Die Hände wirken wie die Krallen eines Greifvogels, und natürlich hat das Rotkehlchen Angst, dreht panisch ab und fliegt hektisch in eine andere Richtung. Nita steht derweil vor dem Spiegel, starrt sich selbst in die Augen und wundert sich, wie sie es überhaupt mit dieser Frau aushält, die ihr gegenübersteht.

Während sie sich ansieht, bemerkt sie, wie sich am Eingang der Nasenhöhle ein kleiner Bluttropfen zeigt, der rasch größer wird und schließlich über die Oberlippe rinnt. Sie beobachtet, wie jener Frau vor ihr das Blut aus der Nase tropft, doch erst, als sie nach unten blickt und die roten Flecken im Waschbecken entdeckt, realisiert sie, dass sie selbst von diesem plötzlichen Nasenbluten betroffen ist.

Sie wirft ihren Kopf in den Nacken, tastet nach dem Toilettenpapier hinter ihr, reißt sich einige Blätter ab und presst sie gegen ihre Nase. Dann lässt sie Wasser in das Waschbecken laufen und wischt das Blut weg. Nach einiger Zeit löst sie den Druck auf ihre Nasenflügel, zieht ein wenig Blut von der Nasenhöhle in den Rachen und spuckt es aus.

Sie hatte in ihrem Leben bisher vielleicht zwei Mal Nasenbluten. Ihr Bruder Martin hatte ständig Nasenbluten, schon als kleines Kind, und irgendwie hatte sie ihn stets darum beneidet. Obwohl es offensichtlich weder schmerzvoll noch gefährlich war, vermochte Martins Nasenbluten stets Mitgefühl oder ähnliche Reaktionen auszulösen. Wer das Blut sah, änderte umgehend den Gesichtsausdruck, die nichtssagenden Alltagsgesichter wurden zu besorgten Mienen voller Empathie und Ergriffenheit.

Selbst Nita, in ihrer üblichen geschwisterlichen Missgunst, war fasziniert. Das Blut, das in tiefem Dunkelrot aus der Nase rann, wurde im Papiertaschentuch plötzlich strahlend hell und lebendig, schien aufzuleuchten. Nach einigen Minuten färbte es sich wieder dunkel, trocknete ein, legte jede Kraft ab und starb. Nita mochte die Dramatik dieses Prozesses, war von ihm beeindruckt. Nicht selten nahm sie die Papiertaschentücher, mit denen Martin sein Nasenbluten zu stillen versuchte, in ihre Finger, drehte sie hin und her, hielt sie gegen das Licht und beobachtete, wie der Lebenssaft, der vor wenigen Minuten noch durch Martins Körper geflossen war, vor ihren Augen erstarrte und gerann.

Dass sie nun selbst ein Anfall von Nasenbluten hat, verunsichert sie. Benommen starrt sie auf das Toilettenpapier in ihrer Hand, das von dunkelroten Flecken übersät ist. Sie rollt weitere Blätter ab, drückt sie gegen die Nase und prüft, ob noch Blut fließt. Nach einigen Minuten ist sie überzeugt, dass ihr Nasenbluten aufgehört hat. Sie mustert die blutbefleckten Toilettenpapierknäuel, betrachtet sie aufmerksam und wirft sie schließlich in die Toilettenschüssel. Sie betätigt die Spülung und beobachtet, wie ihr Blut fortgeschwemmt wird.

Wäre es bei diesem einen Mal geblieben, hätte sie ihrem Nasenbluten wohl kaum eine besondere Bedeutung beigemessen. Doch schon am nächsten Tag tritt es erneut auf, dieses Mal in der Küche. Sie hat sich soeben einen Kaffee gemacht, als sie merkt, wie Flüssigkeit aus ihrer Nase austritt. Sie wischt mit dem Handrücken über die Nase und ist ein wenig irritiert, als sie den roten Fleck sieht. Sie nimmt ein Stück Küchenpapier von der Rolle, drückt es gegen den Nasenflügel. Und während sie wartet, bis das Nasenbluten wieder aufhört, fragt sie sich, ob mit ihr etwas nicht stimmt.

Das Nasenbluten erhält alsbald eine spürbare Regelmäßigkeit. Jeden Tag färbt Nita Taschentücher und Küchenpapier rot, und gerade zu Beginn verspürt sie eine gewisse Faszination, eine späte Genugtuung, und nur zu gerne hätte sie Martin angerufen und ihm mit einem gewinnenden Unterton in der Stimme davon erzählt, doch sie weiß, dass es ihrem Bruder ziemlich egal wäre, ob sie aus ihrer Nase blutet oder nicht.

Allmählich macht die anfängliche Faszination aber immer mehr einem Widerwillen Platz, in den sich auch Spuren von Angst mischen. Dass sie plötzlich täglich Nasenbluten hat, weitaus häufiger also als Martin, scheint ihr kein übliches Ereignis, keine banale Tatsache zu sein. Irgendetwas muss in ihrem Körper passiert sein. Irgendetwas muss sich verschoben haben.

Zunächst denkt sie daran, einen Arzt anzurufen, schließlich wäre dies der übliche Weg, um den Gesundheitszustand und eine mögliche Krankheit abzuklären, doch Nita mag diesen üblichen Weg nicht, vielleicht auch deshalb, weil es ihr unangenehm ist, wenn Menschen mehr über sie wissen – oder zu wissen glauben – als sie selbst.

Dann ist sie versucht, ihre Mutter um Rat zu fragen, doch wenn sie ihre Mutter um Rat fragt, legt sie dieser jeweils die gesamte Verantwortung in die Hände, zumindest scheint ihre Mutter dieser Überzeugung zu sein. Und Nita hat keine Lust auf solches Halbwissen und die haarsträubenden Geschichten, die ihre Mutter scheinbar zu jedem Thema kennt, ganz bestimmt auch zu Nasenbluten.

Sie erwähnt im Büro, dass sie häufig Nasenbluten hat, doch es scheint niemanden zu interessieren, niemanden außer Benjamin, den Praktikanten, der aber an allem interessiert ist, das sie sagt. Benjamins Meinung ist ihr zumeist so egal, dass sie ihm gar nicht wirklich zuhört. Doch im Bezug auf das Nasenbluten erzählt er von einem Verwandten, der ebenfalls Nasenbluten hatte und irgendwann an Krebs starb. Sie will mehr darüber wissen, und Benjamin würde sichtbar gerne auch mehr darüber erzählen, doch sein Wissen hat sich bereits erschöpft. Er flüchtet sich in Schulterzucken und meint, dass er aber auf jeden Fall seine Mutter fragen werde, sie wisse ganz bestimmt Bescheid, doch Nita winkt ab. Mutterwissen ist ihr suspekt, auch bei fremden Müttern.

Als im Internet nach möglichen Ursachen von Nasenbluten sucht, findet sie unzählige Seiten, die sich ausführlich damit auseinandersetzen. Zu den häufigsten der genannten Auslöser der Blutungen, in der Fachsprache Epistaxis genannt, zählen Nasenbohren, heftiges Schnäuzen sowie Verletzungen durch Schläge auf die Nase. Auch Grippe und Erkältungen sowie eine trockene Nasenschleimhaut können Nasenbluten begünstigen, ebenso Medikamente und Chemikalien, doch nichts davon leuchtet Nita ein, nichts davon scheint ihr in ihrem Fall naheliegend zu sein.

Sie liest weiter, über die eher seltenen Ursachen von Nasenbluten, und auch hier kann sie die meisten Nennungen ausschließen, schließlich hat sie weder Fremdkörper in die Nasenhöhlen eingeführt noch einen Schädelbasisbruch erlitten. Doch dann stehen da Wörter, die sie kurz innehalten lassen. Blutkrankheiten wie Hämophilie (Bluterkrankheit) oder Blutkrebs (Leukämie). Tumoren in der Nasenhöhle. Morbus Osler. Nita legt ihre Ellbogen auf den Tisch und starrt auf den Bildschirm ihres Notebooks.

Morbus Osler klingt zu fremdartig, zu merkwürdig, sie kann den Begriff nicht greifen, also lässt sie ihn liegen, er verblasst und verschwindet. Hämophilie ereilt das gleiche Schicksal, obschon sie von der Bluterkrankheit zumindest ein vages Bild skizzieren könnte. Die Krebsarten hingegen bleiben stehen, lösen sich vom Monitor und beginnen, sich vor ihren Augen zu bewegen, fast scheint es, als würden sie tanzen. Die Leukämie und der Nasentumor drehen sich im Kreis, eng umschlungen, nahezu zärtlich. Nita spürt, wie ihr ein Schauer über den Rücken wandert. Dann schlägt sie die Hände vors Gesicht und wartet. Doch als sie die Finger wie einen Vorhang zur Seite schiebt, tanzen die Leukämie und der Nasentumor noch immer.

Sie klickt sich durch unzählige Internetseiten, liest über die Dinge, an denen sie möglicherweise leidet, und zumindest vom Nasentumor nimmt sie allmählich Abstand, vor allem, nachdem sie mit der Taschenlampe ihre Nasenhöhle ausgeleuchtet hat und keine jener Auffälligkeiten erkennen konnte, die bei einem Nasentumor typisch sind. Die Leukämie hingegen bleibt eine Möglichkeit. Und je länger sie darüber liest, umso mehr wird sie zur Wahrscheinlichkeit.

Schließlich klappt Nita ihr Notebook zu, stützt den Kopf auf ihre Hände und glaubt, das Kippen des Raumes zu spüren. Tatsächlich fühlt sie sich in letzter Zeit häufig abgeschlagen und müde, ihr Gesicht wirkt blasser als sonst. Das Essen scheint anders zu schmecken als früher, ihr fehlt der Appetit, sie hat zwei, vielleicht drei Kilogramm abgenommen. Sie erinnert sich an die sporadischen Gliederschmerzen, die Fieberschübe, die blauen Flecken auf ihrer Haut. Was zuvor beliebige Ereignisse ihres Alltags waren, fügt sich nun zu einem klaren Bild zusammen.

Sie steht auf, zündet sich eine Zigarette an und stellt sich ans offene Fenster, bläst den Rauch in die Dunkelheit. Sie hatte vorgehabt, bald mit dem Rauchen aufzuhören, doch jetzt wirkt dieses Vorhaben wie ein Hohn, nichts daran hat einen Sinn. Draußen stolpert die Welt in eine weitere Nacht, und Nita taumelt seitwärts, mag der Welt nicht mehr folgen.

Zunächst mag sie mit niemandem darüber reden, dass sie wahrscheinlich an Leukämie erkrankt ist. Der Gedanke daran ist noch zu abstrakt, es gelingt ihr noch nicht, angemessen mit dieser Diagnose umzugehen. Erst allmählich begreift sie, was die Krankheit für ihr Leben bedeutet. Was auch immer sie fortan tut, es wird stets im Kontext der Leukämie stehen, davon ist sie überzeugt. Und zugleich wird stets die Möglichkeit, in absehbarer Zeit zu sterben, hinter ihrem Rücken lauern.

Die Tage vergehen, und die Leukämie frisst sich bereits mit ungeahnter Kraft in ihren Kopf, füllt alles aus und schiebt das Übliche und Gewohnte achtlos beiseite. Die Dinge, die sie noch zu tun gedachte im Verlaufe ihres Lebens, diese Dinge fallen nun plötzlich aus den Skizzen ihrer Zukunft, verlieren an Belang, werden nichtig. Der Einsatz als Entwicklungshelferin in Burkina Faso oder Äthiopien, die Arbeit im Sterbehaus in Indien, die Begegnungen mit afrikanischen Waisenkindern und Kindersoldaten, später vielleicht das Mutterdasein, der Golden Retriever, die Heimsuchung der Angepasstheit, die Funktionsbekleidung, das Entweichen der Weiblichkeit – was auch immer die kommenden Jahre bereitgehalten hätten, wird von der Leukämie fortgespült. Was übrig bleibt, ist der Gedanke an die Endlichkeit des Daseins, das vorweggenommene Sterben.

Eigentlich hätte sie daran verzweifeln müssen, findet sie. Doch stattdessen erkennt sie, dass die Einfachheit, mit der die Leukämie ihr verbleibendes Leben skizziert, einer Art Erlösung gleichkommt. Das stetige Drängen und Drücken hinter ihren Plänen, Träumen, Hoffnungen und Ängsten ebbt ab, macht einer neuen Gleichgültigkeit Platz, die sich wie ein warmer Mantel um ihre Schultern legt. Auch wenn ihr bewusst ist, dass sie durchaus noch Jahre leben könnte, ziehen die Leukämie und ihre unweigerliche Folge eine fast schon süffisante Ruhe nach sich. Die Fragen, die sich zuvor stets in den Vordergrund gedrängt hatten, verlieren an Dringlichkeit, und die Antworten, die Antworten werden egal.

Einige Tage, nachdem sie die Möglichkeit von Leukämie nicht nur in Betracht gezogen, sondern zur Wahrscheinlichkeit erhoben hat, glaubt sie gar zu spüren, wie ihr die anbahnende Gewissheit einen neuen Blick auf die Welt eröffnet. Sie beginnt, gewisse Ängste zu relativieren, verschiebt Prioritäten, entledigt sich nunmehr nutzlos gewordener Pläne und schafft dadurch neuen Raum, den eine ungewohnte Klarheit durchweht.

Wiederholt tritt in ihrem Kopf ein Gedanke zutage, der sich noch stärker in den Vordergrund drängt als die übrigen; sie muss niemandem mehr genügen, muss keine Erwartungen mehr erfüllen, weder jene von anderen noch ihre eigenen. Die regelmäßigen und penetranten Fragen ihrer Mutter, wann sie den richtigen Mann finden werde, ob sie endlich bereit sei, eine Familie zu gründen, und ob sie mit sich und ihrem Leben tatsächlich und grundlegend zufrieden sei, diese Fragen kann sie fortan unbeantwortet lassen, kann mit einem einfachen Schulterzucken auf die Leukämie verweisen und sämtlichen Fragezeichen die Substanz entziehen. Doch nicht nur ihrer Mutter oder ihrem übrigen Umfeld ist sie nichts mehr schuldig, auch sich selbst nicht. Und diese Einsicht vermag ihr vielleicht das größte Gewicht von den Schultern nehmen.

Als Nita ein weiteres Mal im Bad steht und sich im Spiegel betrachtet, fragt sie sich, warum sie so wenig Traurigkeit empfindet, so wenig Angst vor dem Sterben, vor dem Verschwinden. Zwar freut sie sich nicht darüber, und sie will dem Tod durchaus noch ein wenig Zeit lassen, um sich an sie heranzutasten. Doch das Lächeln, das sie sich selbst schenkt, es ist nicht forciert. Sie mag diesen Punkt, an dem sie sich derzeit befindet, mag die Kontrolle, die sie unverhofft erlangt hat, obschon es nur eine eingeschränkte Form der Kontrolle ist.

Den Termin beim Arzt vereinbart sie nur, um eine Art der offiziellen Bestätigung zu erhalten. Dr. Gomez stellt Fragen, tastet sie ab, schiebt seine randlose Brille über den Nasenrücken und blickt ihr in die Augen. Er wundert sich, warum sie den Eindruck habe, an Leukämie erkrankt zu sein, beginnt aber dennoch, in seiner gewohnten Ausführlichkeit über das Krankheitsbild zu referieren. Nita hört nur halbherzig zu, sie weiß nur zu genau, wovon Dr. Gomez spricht, und als er erwähnt, dass sie nun noch einige Blutproben abgeben müsse, fragt sie lediglich, wann sie mit den Resultaten rechnen könne.

Beim nächsten Termin setzt Dr. Gomez ein artifizielles Lächeln auf, das Nita zuvor noch nie in seinem Gesicht entdeckt hatte. Er neigt seinen Oberkörper leicht nach vorne, blickt sie verschwörerisch an. Und sagt dann, dass er eine gute Nachricht habe.

Nita starrt ihn ungläubig an.

«Was meinen Sie damit, keine Leukämie?»

«Dass Sie nicht an Leukämie erkrankt sind.»

«Aber… aber das ist unmöglich! Die Symptome sind doch eindeutig.»

«Nasenbluten und Müdigkeit können viele Ursachen haben. In Ihrem Fall vermute ich einen Sauerstoffmangel, trockene Luft, eventuell eine Verletzung. Ihre Blutwerte sind jedenfalls hervorragend.»

«Hervorragend?»

«Ja, hervorragend. Sie sind absolut gesund. Nichts in Ihrem Blut deutet auf Leukämie oder eine andere Krankheit hin.»

«Sind Sie sicher», fragt Nita, noch immer konsterniert.

«Ja.»

«Wollen Sie nicht noch das Knochenmark untersuchen?»

«Knochenmarkuntersuchungen führen wir nur durch, wenn das Blutbild Auffälligkeiten zeigt.»

«Ach so.»

«Sie wirken irgendwie enttäuscht, Frau Kaufmann.»

«Ich… Nein, natürlich nicht. Das ist… Das ist eine gute Nachricht. Eine gute Nachricht.»

Nita steht auf, nickt Dr. Gomez zu und geht seltsam schwerfällig aus dem Sprechzimmer. Die junge Frau am Empfang fragt, ob sie einen weiteren Termin vereinbaren wolle, doch Nita schüttelt nur den Kopf, nimmt ihre Jacke vom Kleiderbügel und verlässt die Praxis.

Während sie durch die frühabendliche Stadt geht, wirken die Gebäude noch grauer als sonst. Der Himmel ist nahezu weiß, das Wetter wirkt starr und steril, die urbanen Geräusche vermengen sich zu einem banalen Brei, und wohin Nita auch blickt, sieht sie die Gleichgültigkeit einer Welt, die ihr im Moment allzu fremd scheint. Sie beschleunigt ihre Schritte, wechselt gar in ein leichtes Traben, und als sie endlich ihre Wohnung erreicht, geht sie rasch hinein und verriegelt die Tür hinter sich. Sie schaltet kein Licht ein, tastet sich im Halbdunkel zur Couch und lässt sich auf die Polster fallen. Während sich ihr Atem allmählich verlangsamt, blinzelt sie in den Raum. Die Konturen der Möbel gewinnen an Deutlichkeit, ihre Augen gewöhnen sich an das reduzierte Licht der Abenddämmerung. Sie kann immer mehr erkennen, vermag die Objekte in ihrem Wohnzimmer zuzuordnen, doch sie fühlt sich deswegen nicht wohler. Die Realität gewinnt an Klarheit, aber nun ist sie von dieser Klarheit seltsam überfordert. In der Ferne hört sie das Läuten von Kirchenglocken und überlegt sich, wie spät es ist. Doch eigentlich interessiert es sie gar nicht.

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